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Predigtformen der Zukunft

Wie lässt sich Begeisterung für den Gottesdienst-Besuch entfachen?

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Um den Trend sinkender Kirchenmitgliederzahlen etwas entgegenzusetzen, hatte der Kirchensoziologe Lämmlin das „Ende der Kanzelpredigt“ ins Gespräch gebracht. Diese Idee löste einen Sturm an Kommentaren auf den Social-Media-Plattformen der EKHN aus. Auch Professor Stefan Claaß macht sich Gedanken darüber, inwieweit Predigtformen und innere Haltungen dem Mitgliederrückgang entgegenwirken können. Er bildet die künftigen Pfarrerinnen und Pfarrer der EKHN aus.

„Ist die Predigt von der Kanzel out?“ hatte das Social-Media-Team der EKHN Ende April 2022 gefragt, woraufhin viele Nutzerinnen und Nutzer sich intensiv über ihre Meinungen und Erfahrungen ausgetauscht haben. „Wenn die Community so intensiv diskutiert zeigt das, dass in diesem Thema eine Menge Energie drinsteckt, da ist Feuer. Selbst wenn es enttäuschte Emotionen gibt, heißt das: Hier gibt es auch eine große Sehnsucht“, so Professor Stefan Claaß. Er bildet im Bereich „Homiletik und Liturgik“ künftige Pfarrerinnen und Pfarrer am Theologischen Seminar Herborn aus. Den Anlass für die Diskussion um Predigtformen hatten die Aussagen des Kirchensoziologe Georg Lämmlin gegeben. Gegenüber dem epd hatte er gefordert, dass die religiöse Kommunikation „von der Kanzel herunter“ kommen müsse, weg von einer Verkündigung „von oben herab“ hin zum „Ermöglichen religiöser Kommunikation“. Lämmlin ist Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Meinungen zur Kanzelpredigt auf Social Media

Das Meinungsspektrum auf dem Instagramkanal ekhn.gemeinsam zu Georg Lämmlins Vorschlägen war breit, wobei mehrere Userinnen und User die klassische Predigt nicht missen wollten: „Die Kirche ist für mich noch immer ein Ruheplatz, an dem ich mich erden darf.“ Andere wünschten sich mehr Beteiligung: „Tatsächlich hatte ich schon oft das Bedürfnis, während der Predigt etwas zu erwidern oder beizutragen.“ Ein Teil der Beiträge plädierte für Vielfalt: „Ich denke beide Aspekte haben ihre Daseinsberechtigung: Kirche und andere Versammlungsorte bis hin zu Online-Gottesdiensten.“

Vielfalt der Predigtformen wird bereits praktiziert

Auch der evangelische Theologe Professor Stefan Claaß äußert sich zu Lämmlins Ideen: „Die Landschaft der Gottesdienstformen ist heute sehr vielfältig. Ich habe schon lange keine Predigt mehr `von oben herab´ gehört.“ Am Theologischen Seminar erlebt er bei den Vikarinnen und Vikaren, dass sie große Lust auf unterschiedliche Gottesdienstformen hätten und sich über Best-Practice-Beispiele untereinander austauschten. „Es gibt nicht die eine Predigtform, deshalb spreche ich im Plural von Predigten und Gottesdiensten, um den vielfältigen Verkündigungsformaten gerecht zu werden.“

Verkündigungsformen im Gottesdienst

Eine bestimmte Verkündigungsform bevorzugt  Stefan Claaß nicht, sein Credo lautet: „Der Inhalt prägt die Form.“ Deshalb sieht er auch kein Ende der klassischen Predigt. Der Homiletik- und Liturgik-Experte nennt die wichtigsten Verkündigungsformen und wie dabei die aktuellen Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher berücksichtigt werden können.

Klassische Predigt:

Nach wie vor ist diese Form bei einigen Besucherinnen und Besucher beliebt. Allerdings können auch hier die Fragen und Erfahrungen der Gemeindemitglieder aufgegriffen werden. Stefan Claaß nennt ein Beispiel: „Vor dem Sonntag schickt eine Vikarin ihre Predigt per Messengerdienst an ihre Konfis. Deren Rückmeldungen baut sie dann in die Predigt ein.“

Dialogpredigt:

Zwei Menschen aus der Gemeinde bereiten ein Gespräch vor, in dem sie sich über ihre Erfahrungen mit aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen vor dem Hintergrund ihres Glaubens und biblischer Texte unterhalten. „Hier haben auch Gemeindemitglieder die Chance zu zeigen, inwieweit der Glaube sie inspiriert hat, eine Herausforderung in ihrem Leben auf eine bestimmte Weise anzugehen. Sie können hier ihre eigenen Erfahrungen mit dem Bibeltext teilen und sich darüber mit ihrem Gesprächspartner austauschen, der auch die Pfarrerin oder der Pfarrer sein kann“, so Stefan Claaß. Das Besondere an dieser Verkündigungsform ist, dass sie sich auf dem Gebiet der EKHN entwickelt hat: Der mittlerweile verstorbene Propst Dieter Trautwein hatte sie in Frankfurt am Main mitentwickelt.

Bibliolog:

„Ich will unbedingt den Bibliolog lernen. Und ich hoffe, dass ich dann schon im Vikariat profitieren kann“, berichtet eine studierte evangelische Theologin auf Instagram. Aus der Sicht von  Claaß ist das eine gute Idee: „Der Bibliolog kann hin und wieder eine gute Alternative zur klassischen Predigt sein.“ Beim Bibliolog wird eine biblische Geschichte vorgelesen und mehrere  Personen versetzen sich in die Rolle der vorkommenden Figuren. Beim Vorlesen sind Pausen vorgesehen, in denen die oder der Prediger:in eine Frage an eine bestimmte biblische Figur stellt. Beispielsweise kann in einer Pause im Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ gefragt werden: „Wie hast du dich gefühlt, als du deinen Vater auf dich hast zukommen sehen?“ Durch die emphatischen Antworten gewinnen die biblischen Geschichten „Farbe und emotionale Tiefe“, wie  Claaß selbst erlebt hat.

Digitale Beteiligungsformen wie Chat-Fürbitten:

„Die Gemeinden haben während der Pandemiezeiten viel Erfahrung hinsichtlich digitaler Möglichkeiten gesammelt. Viele haben gute Erfahrungen damit gemacht, die Fürbitten per Chat zu sammeln.“ Auch im analogen Gottesdienst könnten bestimmte Elemente wie die Fürbitten von den Gemeindemitgliedern digital übermittelt werden, Papier sorge dagegen eher für ein „Zettel-Chaos“.

Mit gelingenden Beziehungen die Begeisterung für kirchliches Leben wecken

Der Anlass für den Kirchensoziologen Lämmlin ein mögliches „Ende der Kanzelpredigt“ ins Gespräch zu bringen, sind die sinkenden Mitgliederzahlen und der Vertrauensverlust der christlichen Kirchen. Dieser Tatsache blickt auch Prof. Claaß ins Auge, zieht aber andere Schlüsse: „Wir glauben oft: Wenn wir als Kirche dieses oder jenes besser machen, kommen auch mehr Leute in die Gottesdienste. Aber selbst die optimierte Methode kann gesellschaftliche Entwicklungen nicht ausmerzen, wie beispielsweise den religiösen Traditionsabbruch in Familien.“ Aber er hat die Erfahrung gemacht: „Am ehesten können wir Menschen durch gelingende Beziehungen ansprechen.“

Christliche Botschaften für die Lebenspraxis – inmitten des Trends zur Lifestyle-Spiritualität

Mit Blick auf die hohen Auflagen der Hochglanz-Zeitschriften mit trendigen Themen rund um Lifestyle und Spiritualität bemerkt er: „Auch die Kirchen sind Kraftorte!“  Für Stean Claaß geht es heute vor allem darum, „christliche Botschaften so zuzuspitzen, dass sie sich in Krisen- und Glückszeiten umsetzen lassen. Grunderfahrungen können wir mit Gott teilen und sind dabei nicht allein gelassen.“ Zudem erlebt er angesichts einer Lifestyle-Spiritualität, die Geist und Seele mit positiven Affirmationen trainieren möchte: „Als Christinnen und Christen müssen wir nicht ständig an unserer Selbstoptimierung arbeiten. Das finde ich unglaublich barmherzig und inspirierend.“

Vor dem ersten Wort: Grundlagen für eine ansprechende Predigt

Um die zentrale Bedeutung von Beziehung und den Wunsch nach christlichen Botschaften für die eigene Lebenspraxis stärker im Gottesdienst zu verankern, empfiehlt der Homiletik- und Liturgik-Experte Claaß, diese Aspekte in die Vorbereitung  einzubeziehen – unabhängig von der Verkündigungsform:

Kennenlernen der Gemeinde:

Damit Kommunikation gelingt ist es notwendig, sich mit anderen Menschen während der Woche auf den Gottesdienst einzustimmen. In direkten Gesprächen mit Nachbarn, mit  Kirchenvorstandsmitgliedern, mit Taufeltern, den Konfis und vielen anderen  bekommt der oder die Pfarrer:in allmählich ein Gefühl, welcher Sprachstil und welche Verkündigungsformate  am ehesten als stimmig wahrgenommen werden.

Im Trialog innere Haltung entwickeln:

Es kommt weniger darauf an, an welchem Ort architektonisch die Kanzel im Kirchenraum angebracht ist. Vielmehr geht es darum, eine innere Haltung auszubilden, die es ermöglicht, sich mit den Gemeindemitgliedern   zu verständigen und auszutauschen. So kann sich ein Trialog entwickeln zwischen der Gemeinde, den biblischen Texten und dem predigenden Menschen.

Freundliche Atmosphäre:

Die Stellschrauben für einen ansprechenden Gottesdienst sind neben den Inhalten „die Beziehungen und eine offene, freundliche Atmosphäre. Die Besucherinnen und Besucher sollten das Gefühl haben, dass sie hier akzeptiert sind und gerne hingehen.“ Der Gottesdienst und die Gemeinde sollten Gastfreundschaft ausstrahlen.

Vom „Für“ zum „Mit“:

„Die Erfahrung hat gezeigt: Früher wollten viele Gemeinden etwas FÜR andere Menschen anbieten, das hat oft zu Enttäuschungen geführt. Erfolgreicher hat sich etwas erwiesen, wenn etwas MIT anderen entwickelt wurde. Dass kann auch mit der Feuerwehr vor Ort oder einem Verein sein. Dadurch erhalten Aktivitäten mehr Rückhalt“, erklärt Stean Claaß. Jede Initiative sollte durch ein Team an „Verbündeten“ getragen sein.  (siehe: Apg. 16,11).

Regelmäßiges Einüben im Gottesdienst:

Wer im Gottesdienst kurz nach der Predigt die Besucherinnen und Besucher zu Rückmeldungen einladen möchte, sollte das vorbreiten. Im Vorfeld können beispielsweise die Konfis oder Ehrenamtlichen mit dieser Form vertraut gemacht und zu Feedback angeregt werden. Zudem sollte die neue Form im Gottesdienst  eingeführt werden, damit die Kurzbeiträge für alteingesessenen Gottesdienstbesucher nicht schockierend wirken. „Rückmeldungen im Gottesdienst können zur vertrauten Kulturform werden, wenn sie regelmäßig im Gottesdienst angewendet werden“, erklärt  Claaß.

Fortbildungen und Vorbereitung:

Spontane Statements aus der Gemeinde können auf die Pfarrerin oder den Pfarrer spontan und unvorbereitet treffen, eventuell gibt es zunächst keine Antwort. Prof. Claaß empfiehlt: „Die Predigt sollte  so vorbereitet werden: 40 Prozent wird gesagt, 60 Prozent dienen als Ressource. Zudem müssen die  Predigerinnen und Prediger nicht sofort antworten. Keinesfalls sollten sie aber mit frommen Floskeln reagieren.“ Zudem rät er zu regelmäßigen Fortbildungen und regelmäßigem Üben.

Änderungen im Kirchenraum:

„Kirchenbänke können ein Hindernis sein, wenn es um alternative Gottesdienstformen geht. Deshalb plädiere ich: Bänke raus, Stühle rein. Mit Stühlen lassen sich Räume vielfältiger gestalten“, regt Claaß an.

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